Wildgänse am Himmel
von Christian Ceconi, Vorstand Berliner Stadtmission
„Siehe, ich mache alles neu!“ – Manches Mal habe ich das laut gesagt mit feuchten Augen. Am Ende der Trauerfeier, am offenen Grab, bittend, trotzig, „Siehe, ich mache alles neu!“ ist der Moment, wenn ich noch am Grab stehend den Blick aufrichte gen Himmel.
Einmal stand ich vor der Kapelle an den Vier Linden in Hildesheim. Die Trauerfeier hatte noch nicht begonnen. Die Leute kamen gerade an. Ich begrüßte einige an der Tür. Als ich den Blick nach oben richtete, flog da ein ganzer Schwarm Wildgänse vorbei. Laut schreiend, in V-Formation, auf dem Weg zu einem Ziel, das sie instinktiv suchen und finden, weil sie ihrem inneren Kompass folgen.
Das Rufen der Gänse ließ auch ganz viele Menschen die Köpfe heben. Für einen Moment waren wir gebannt von diesem Bild, wie die Gänse am grauen Himmel vorbeizogen.
Dann begann die Trauerfeier mit dem Gedicht „Freies Geleit“ von Heinz Piontek:
Da wird ein Ufer
Zurückbleiben
Oder das Ende eines
Feldwegs.
Noch über letzte Lichter hinaus
Wird es gehen.
Aufhalten darf uns
Niemand und nichts!
Da wird sein
Unser Mund
voll Lachens –
Die Seele
Reiseklar –
Das All
Nur eine schmale Tür
Angelweit offen –
Traurigen Herzens saßen wir in der Kapelle und spürten zugleich, wie weit der Himmel ist. Durch den Schrei der Gänse im Ohr ließ Gott unsere Seelen aufatmen. Und manch einem war es möglich, der Seele Flügel zu geben, aufzufliegen in die Weite der Gegenwart Gottes. In aller Traurigkeit gab es den Moment, wo der Himmel offenstand und viele im Raum wussten: Gott wird dem Tod nicht das letzte Wort lassen. Nicht hier und nicht in Zukunft. Als ich auf dem Nachhauseweg noch einmal gen Himmel blickte, waren die Wildgänse längst verschwunden. Weitergezogen, ihrem Ziel entgegen.
(gekürzt aus: St. Kern/Chr. Morgner, Lesebuch zur Jahreslosung 2026)
============================================================
Eine Vision der Hoffnung
von Ernst-Wilhelm Gohl, Bischof
Wir leben in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist. Wohin wir auch blicken: Krisen, Kriege, Katastrophen. Mitten hinein in diese Zeit hören wir den Ruf der Jahreslosung: Siehe, ich mache alles neu! (Offbg 21, 5) Das Hören auf dieses Wort verbindet uns mit Christinnen und Christen auf der ganzen Welt – und mit denen, die vor uns waren.
Siehe! Das Hoffnungsbild des letzten Buches der Bibel lenkt unseren Blick auf Gott. Er hat sich uns in Liebe zugewandt. Mit ihm haben wir Zukunft und Hoffnung. Hoffnung statt Zukunftsangst. Denn die Dinge dieser Welt, ihre Ängste und Sorgen, sie haben nur das vorletzte Wort. Das erste und das letzte Wort hat der, dessen Zukunft uns die Apokalypse zeigt: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“ (Offbg 21, 4) Die Vision der Jahreslosung verbindet uns weltweit zu einer Gemeinschaft der Hoffnung:
gemeinsam hoffen wir gegen die Angst.
Gemeinsam beten wir für Frieden und das Ende der Gewalt.
Gemeinsam vertrauen wir in einer lieblosen Welt auf Gottes Liebe.
Denn wir hören miteinander auf die Worte dessen, der Anfang ist und Ende und der uns zuruft:
„Siehe, ich mache alles neu!“
(gekürzt aus: St. Kern/Chr. Morgner, Lesebuch zur Jahreslosung 2026)
========================================================
Alles neu? Ist das gut?
Von Cornelia Mack, Autorin
Manche Menschen tun sich schwer mit Neuerungen. Sie möchten gern, dass alles beim Alten bleibt. Und dann gibt es andere, die lieben Veränderungen und Neuerungen und mögen es gar nicht, wenn immer alles gleich bleibt. Was bedeutet das nun im Hinblick auf unsere Jahreslosung? Schauen wir genau hin. Unmittelbar in den Versen davor ist die Rede von Leid und Tod, von Tränen und Schmerzen, von Krieg und Geschrei. Das sind alles Ereignisse, unter denen wir leiden und die uns nicht gefallen. Gott spricht: „Siehe, ich mache alles neu!“
Dieses Leben hier, auch alles Unvollkommene auf dieser Erde, wird nicht das Letzte sein. Und in der Verbindung mit Jesus, in dem die erneuernde Kraft Gottes schon begonnen hat, darf alles Negative jetzt schon entmachtet werden. Auf Gottes neue Schöpfung gehen wir zu. Darauf können wir uns ausrichten und dem Negativen etwas Neues entgegensetzen. Nicht erst am Ende der Zeit, sondern heute schon.
(gekürzt aus: St. Kern/Chr. Morgner, Lesebuch zur Jahreslosung 2026)
=========================================================
Der Gebetstopf
von Luitgardis Parasie, Pastorin
Wenn ich meiner Freundin Karen eine Sorge erzähle, sagt sie: „Das kommt in meinen Gebetstopf.“ Anfangs war ich irritiert: Gebetstopf – was soll das denn sein? Karen sagt: „Ganz einfach: ich schreibe die Sorgen und Nöte auf ein Blatt Papier und bete dafür. Dann packe ich den Zettel in einen Tontopf. Gott sieht ja, was drin ist, und wird sich darum kümmern. Darauf vertraue ich. Nach ein paar Wochen öffne ich den Topf, schaue die Zettel durch und sehe, welches Gebet schon erhört wurde. Das macht mich oft richtig glücklich. Die nicht erhörten Zettel kommen wieder in den Topf.“ Was für eine originelle Idee. Und meine Freundin hat begriffen: wichtig ist nicht, dass alle Fragen beantwortet werden. Sondern dass sie, Karen, eine Beziehung zu Gott hat. Dass sie ihm vertraut, auch wenn sie vieles nicht versteht. „Siehe ich mache alles neu!“, sagt Gott – der Gebetstopf stärkt ihre Zuversicht. Es hilft ihr, Gott zu vertrauen, auch in Durststrecken und schwierigen Zeiten.
(gekürzt aus: St. Kern/Chr. Morgner, Lesebuch zur Jahreslosung 2026)
================================================================
Der Pfirsichbaum
von Dr. Sibylle Seib, Lehrerin
Vor mehr als zehn Jahren wurde in unserem Garten ein kleines zartes Pfirsichbäumchen gepflanzt. In Erinnerung an einen Pfirsichbaum im Garten meiner Kindheit stellte ich mir vor, bald leckere, saftig-süße Früchte zu ernten, sie zu genießen, Kuchen damit zu backen.
Nun ja, dieses wunderbare Neue braucht immer noch seine Zeit. Erst ging das Bäumchen buchstäblich ein und wuchs nicht weiter. Obwohl ich dachte, dass es wohl kein Leben mehr enthielt, ließ ich es noch an der Stelle stehen. Nach einigen Jahren dann das Gartenwunder: Es fing wieder an zu treiben und zu wachsen. Das erstaunte mich sehr, wie das tot geglaubte Bäumchen hier neu anfing, sein Leben zu zeigen. Das Neue breitete sich aus durch das Wachsen von Ästen und Zweigen und Blättern. Wie viele Pfirsichbäume kämpfte es mit der Kräuselkrankheit und ich versuchte die befallenen Blätter regelmäßig zu entfernen. Im letzten Jahr produzierte das Bäumchen zum ersten Mal eine ganze Reihe Früchte. Leider wurden sie nicht vollständig reif, vermutlich aufgrund der immer noch vorhandenen Krankheit. Dieses Jahr nun gibt es weitaus weniger kranke Blätter und die Hoffnung auf ausgereifte Pfirsiche wächst. Das Neue, Gute und Schöne braucht hier inzwischen Jahre, um zu wachsen, zu reifen und gegen Krankheit anzukämpfen.
Das von Gott geschenkte Neue in unserem Leben braucht oftmals genauso Kraftanstrengung und Lernprozesse sowie Geduld und Zähigkeit. So kann überraschend Gutes und überwältigend Schönes sich durch Widerstände und Rückschläge hindurch Bahn brechen.
Gottes Wirken in unserem Leben vollendet sich so manches Mal in einem Prozess. Das hat wahrscheinlich auch seinen Grund: So kommen wir hinterher mit unserem Staunen, Begreifen, Anpassen und mit dem eigenen Mitwirken bei dem Neuen, was Gott mitten in unserem Leben schenkt und wachsen lässt.
(gekürzt aus: St. Kern/Chr. Morgner, Lesebuch zur Jahreslosung 2026)
==========================================================================
Ende gut, alles gut
von Ernst Günter Wenzler, Süddeutscher Gemeinschaftsverband
„Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es auch noch nicht das Ende.“
Klar, das Zitat stammt nicht aus der Bibel. Es wird wahlweise John Lennon oder Oskar Wilde zugeschrieben, stammt aber von dem portugiesischen Schriftsteller Fernando Sabino. Bekannt wurde es durch den Film „Best Exotic Marigold Hotel“. In der britischen Komödie will eine Gruppe englischer Senioren ihren Lebensabend in einem als absolut großartig beschriebenen Hotel in Indien verbringen. Als sie ankommen, sind sie die einzigen Gäste in dem total heruntergekommenen Hotel. Der junge Besitzer tut alles, um ihnen den Aufenthalt angenehm zu machen. Und immer wieder weist er darauf hin: „Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es auch noch nicht das Ende.“ Und er tut das Beste, um sein Lebensmotto zu bestätigen.
Leider stimmt die Aussage in der Wirklichkeit unseres Lebens längst nicht immer. Bei Gott aber schon. Denn er macht am Ende alles neu. Und das ist dann absolut perfekt. Am Ende gibt es ein Fest ohne Ende. Freude pur. Und Glück ohne Verfallsdatum. Dann heißt es: Ende gut,alles gut!
(gekürzt aus: St. Kern/Chr. Morgner, Lesebuch zur Jahreslosung 2026)